Wie generative KI Legacy rettet – und welche sie zurücklässt (4/7)
Einleitung
Teil 3 hat gezeigt, dass moderne Citizen-Development-Plattformen Risiken bergen, die Kami Excel noch übertreffen. Was verändert die Ankunft der generativen KI auf dieser Entwicklungslinie?
Generative KI kann bestehende Software analysieren und bei Migration oder Neudesign assistieren. Doch Assets, die nie als Code geschrieben wurden – also No-Code-Apps oder RPA-Flows – bleiben selbst für KI schwer zugänglich.
Das künftige negative Erbe dürfte sich folglich auf jene Artefakte konzentrieren, die „außerhalb des Codes“ zurückgelassen wurden.
Die gesamte Serie
- Die Zukunft des Citizen Developments – Geschichte, Gegenwart, Generative KI und darüber hinaus (0/7) (auf Deutsch noch nicht verfügbar)
- Ist Citizen Development die Wiederkehr von EUC? – Lektionen aus Kami Excel (1/7) (auf Deutsch noch nicht verfügbar)
- War Kami Excel wirklich böse?—Vom Retter zum negativen Erbe (2/7)
- Licht und Schatten moderner Citizen-Development-Plattformen (3/7)
- Wie generative KI Legacy rettet – und welche sie zurücklässt (4/7) (dieser Teil)
- Wie sich Governance und negative Erbschaften vermeiden lassen (5/7)
- Warum verschobene Perspektiven negative Erben in Serie produzieren (6/7)
- Ein Zukunftsbild des Citizen Developments – Legacy entsteht weiter, doch wir können sie zähmen (7/7) (auf Deutsch noch nicht verfügbar)
Stärken der generativen KI – Code-Assets „auftauen“
Die Migration von Legacy-Code war bislang ein arbeitsintensiver Kraftakt. Millionen Zeilen COBOL oder VB standen oft ohne Dokumentation da, ihre Analyse verlangte nach Veteraninnen und Veteranen.
Generative KI eröffnet hier neue Wege.
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Automatisiertes Code-Reading
Sie kann Funktionsabhängigkeiten visualisieren und Variablen oder Strukturen aus dem Kontext heraus interpretieren. -
Unterstützung bei Sprachwechseln
Aus COBOL kann sie Entwürfe für Java generieren, aus VB Skizzen für Python – als Grundlage für Portierungen. -
Halbautomatisches Refactoring
Sie strukturiert spaghettiartige Logik in Funktionen um und erstellt Tests, sodass der Code für Nachfolgerinnen handhabbar wird.
Kurzum: Was als Code existiert, lässt sich von KI halbautomatisch „auftauen“. Damit kann generative KI zum Game Changer der Legacy-Erneuerung werden.
Das bedeutet nicht, dass jedes Code-Asset automatisch gerettet wird. Wenn Laufzeitumgebungen verschwunden sind oder niemand mehr das Domänenwissen besitzt, bleiben auch KI Grenzen gesetzt. Dennoch ist der Wiederbelebungsspielraum deutlich größer als bei Assets, die nur als Blackbox hinterlegt sind.
Was sich nicht retten lässt – Assets ohne Code
Wie steht es dagegen um No-Code-Apps oder RPA-Flows?
Sie bestehen aus GUI-Operationen oder Flussdiagrammen, deren interne Repräsentation in proprietären Formaten eingeschlossen ist. Generative KI brilliert bei Text – aber verschlüsselte oder proprietäre Blackboxes lassen sich kaum analysieren.
Ein RPA-„Prozess“ mag wie ein Blockdiagramm aussehen, doch tatsächlich steckt er oft in einer verschlüsselten Projektdatei. Auch No-Code-„Apps“ laufen ausschließlich in der Cloud, ein Export als Quellcode ist nicht vorgesehen.
In der Praxis gilt daher meist: Neuentwurf ist schneller als Rettung. Zukünftige Forschung könnte durch Screen-Abläufe oder Aufzeichnungen einzelne Elemente rekonstruieren, doch heute ist die direkte Übernahme einer Blackbox äußerst schwierig.
Scheidelinie des negativen Erbes – kodifiziert oder nicht
Damit zeichnet sich die zukünftige Trennlinie ab.
- Was als Code vorliegt, kann generative KI für Wiederverwendung, Migration oder Verbesserung erschließen.
- Was nie kodifiziert wurde, bleibt für generative KI weitgehend unsichtbar – dort hilft nur ein Neuaufbau.
Die Frage „Ist es als Code hinterlegt?“ entscheidet somit über die spätere Rettbarkeit. Generative KI macht diese Scheidelinie deutlicher denn je.
Ausblick – KI ist kein allmächtiger Retter
Generative KI ist mächtig, aber keineswegs allmächtig. Sie kann Blackboxen aus Citizen Development nicht vollständig retten und rechtfertigt keine früheren Entscheidungen.
Stattdessen hält sie uns den Preis der „Freiheit, keinen Code zu schreiben“ vor Augen. Wer aus kurzfristiger Begeisterung für No-Code entschied, muss ohne KI-Hilfe die Kosten der Neugestaltung tragen.
Deshalb richtet sich der Blick im nächsten Teil darauf, wie sich negative Erbschaften vermeiden lassen – durch Gestaltung der Governance.
Nächster Teil: Wie sich Governance und negative Erbschaften vermeiden lassen (5/7)